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Der Leimsfelder Teich

Im Gegensatz zu vielen anderen Internetseiten befasst sich diese Seite ausnahmsweise   mit etwas, das es gar nicht (mehr) gibt: den Leimsfelder Teich. Damit könnte man seine   weiteren Erwähnungen auch an dieser Stelle einfach beenden, wenn dieser Ort nicht   eine bedeutende lokalhistorische Rolle spielen würde, über dessen Geschichte es   durchaus interessantes zu bemerken gibt.  

Zunächst halten sich auch in diesem Zusammenhang die öffentlich zugänglichen  Quellen eher bedeckt, und man muss schon genauer nachschauen, um darüber etwas zu erfahren. Doch begeben wir uns zunächst zur Ortsbestimmung: der Leimsfelder Teich lag in etwa da, wo sich heute die Bundesstraße 254 schnurgerade Richtung Ziegenhain zieht.    

 

Genauer gesagt: verlässt man Leimsfeld  und passiert die Abfahrt der Kreisstraße 125 (Richtung Schönborn), durchquert   man auf der B 254 eine große, flache und wiesenbedeckte  Senke, die besonders im Herbst durch reichliche Ansammlung   von Frühnebel auffällt. An dieser Stelle führt die Bundesstraße mitten durch die alte Teichanlage. Ihr Verlauf ist kein Zufall:   bereits im Mittelalter führte hier die Fernhandelsstraße „Lange Hessen“ entlang.    

 

Das Kartenblatt „Ziegenhain“  des Jahres 1859 verortet den   Leimsfelder Teich an eben dieser Stelle, ohne ihn eingezeichnet zu   haben, was schlichtweg bedeutet, dass er in diesem Jahr nicht mehr   existierte. Heute ist jedoch noch die “Gers” zu finden. Und da ein   dauerhaft angelegter Teich von regelmäßiger Wasserzufuhr gespeist   sein muss, liegt es nahe, dass der Bach hierzu angezapft wurde.   

 

Eine Internet-Quelle (HNA  RegioWiki) berichtete, der Leimsfelder Teich sei in den Jahren zwischen 1537 bis 1546 angelegt worden, war etwa 65 Acker groß und wurde von Ahlenquellen und Gosse gespeist. Beim  jährlichen Ausfischen habe reges Treiben geherrscht, nach der   Auflösung der Garnison in Ziegenhain 1832 sei der Teich in den darauffolgenden Jahren trockengelegt und von den Leimsfelder Bauern als Wiese genutzt worden.                                                           

Bild oben: Die Bundesstraße 254 zieht sich durch die  nebligen Wiesen des alten Leimsfelder Teichs  


Doch wozu diente die Teichanlage? Zur Beantwortung dieser Frage müssen mehrere Aspekte herangezogen werden:   zunächst wurde im ausgehenden Spätmittelalter und der darauf folgenden Zeit aus religiösen Gründen sehr viel weniger   Fleisch gegessen. Diverse kirchliche Vorschriften sorgten dafür, dass an mehr als der Hälfte der Tage des Jahres Fleisch für   diejenigen tabu war, die sich um ihr postmortales Dasein im Himmelreich sorgten. Selbstverständlich konnte der Erwerb eines   Ablassbriefes (in Abhängigkeit vom eingesetzten Geldbetrag) dafür sorgen, dass kleine oder größere Sünden in der   Lebensendabrechnung unter den Tisch fielen – entsprechende Liquidität vorausgesetzt.    

 

Weiter war Fleisch für das gemeine Volk wenig erschwinglich, der Ernährungsplan bestand überwiegend aus  karger,   vorwiegend pflanzlicher Kost (z.B. Mus, Brei oder Suppe). Der kleinbäuerliche Nutztierbestand (Rinder, Schweine, Geflügel) war kostbar und in der Anzahl gering. Was lag also näher, als sich gezielt um die Fischzucht zu kümmern, da beispielsweise Karpfen oder Karauschen nicht unter das kirchliche Abstinenzgebot fielen und zudem in der Unterhaltung kostengünstig  waren.   

 

Vom Leimsfelder Teich profitierten aber in ersten Linie die Landgrafenschlösser Ziegenhain und Kassel. Deren Esser äußerten sich in alten schriftlichen  Aufzeichnungen durchaus angetan über den Leimsfelder Fisch. Auch die Menge der gezüchteten Fische verleitete zu allgemeiner Begeisterung. So heißt es in Georg   Landaus „Beiträge zur Geschichte der Fischerei in Deutschland“ (Kassel 1865):    

 

„Doch lieferte 1723 allein der Leimsfelder Teich 4 Zentner und 1738 sogar 5 Zentner   91 Pfund, wodurch der Gesamtbetrag im letzten Jahr denn auch mehr als 8 Zentner   betrug.“ (Anmerkung: gemeint ist der Betrag der gefangenen Karauschen in den   gesamten „Herrschaftlich Hessen-Kasselschen Wassern“).    

 


Zu guter Letzt handelte es sich bei der Festung Ziegenhain auch um eine militärische Garnison mit langer Tradition, die Truppen  ausbildete, vorhielt und zu verpflegen hatte. Dazu leisteten die in der näheren   Umgebung angelegten Teiche einen wichtigen Beitrag.   



Sagen um den Leimsfelder Teich  

 

Natürlich war auch der Leimsfelder Teich Quelle von Sagen und Geschichten. Da hier selbst  heute noch in den Nacht- und Morgenstunden  häufig Nebel wallt, lag es durchaus nahe, die  Geschichte einer „weißen Frau“ ins Leben zu rufen. Neben dem Unterhaltungsaspekt konnte   eine potentielle Spukerscheinung vielleicht auch dazu dienen,  unerwünschte Fischdiebe auf   Distanz halten.  

 

Im “Schwälmer Sagenborn” (Erika Eckhardt, Elwert Verlag 1987) tritt die weiße Frau vom   Leimsfelder Teich etwas merkwürdig auf. Sie schenkt einem Leimsfelder Bauernburschen in   dunkler Nacht einen Erlenzweig, der im Sonnenlicht wie Silber glänzt. Der verkauft den Zweig   und hat nun genug Geld, seine Braut zur Hochzeit heimzuholen.   

 

Am Hochzeitstag tritt die weiße Frau in Begleitung von zwei zwergenhaften Knappen in sein   Haus und hängt der Braut ohne ein einziges Wort eine Perlenkette um. Dann verschwindet   sie, genauso schnell und wortlos, wie sie gekommen ist. Zugegeben, über den   Unterhaltungswert dieser Sage lässt sich streiten, und auch das Abschreckungspotential ist -   vorsichtig beschrieben - „überaus gering“ gehalten.                                        

                                                                                                                                                                                                         Bild oben: Spukerscheinung  einer "weißen Frau”  © gemeinfrei  


​Andere Geschichten sind dagegen deutlich dramatischer. Da wird beispielsweise von   unheimlichen Lichtern am Leimsfelder Teich berichtet, die Kinder in die Irre führen (vgl. Dr. C. Hitzeroth: „Hessenland“, Seite 42, 50. Jahrgang, Marburg 1939)


Und schließlich weiß das Sagenbuch des Preußischen Staates   (Johann Georg Theodor Grässe, Band 2, Glogau 1871) von einer   Leiche im Leimsfelder Teich zu berichten: Demnach habe sich einem   Dörflein bei Ziegenhain, Eschenrödern (Ascherode) genannt, eine   Witwe aus Unvorsichtigkeit die Worte entfahren lassen, so sie sich   wieder an einen Witwer verheiraten werde, möge sie der Teufel   holen.  

 

Nachdem sie aber solcher Rede und ihres gottlosen Eides   vergessen, und mit einem Witwer zur Ehe geschritten, Hochzeit   gehalten und sie sich zusammen haben schlafen legen wollen, habe   der Satan ohne Zweifel ihr zugesetzt, dass sie zweimal aus der   Kammer hinab ins Haus ging, der Mann aber ist ihr gefolgt und hat   sie wieder heraufgebracht.    

 

Als sie aber gemeint, der Mann sei entschlafen, schleicht sie zum   dritten Male wieder herab, jener folgte ihr indes auf dem Fuße bis zu  dem Hintertürlein, welches auf den Hof ging. Wie sie nun vor ihm her  und hinaus ging und er hart hinter ihr war, ist ihm ein so starker Wind  mit schrecklichem Heulen entgegengekommen,    

 

dass er eine Zeit lang von sich selbst nichts wusste, er hat aber die Frau nicht wieder finden können, ob er wohl sie diese   Nacht mit brennenden Strohwischen und am folgenden Tage auf dem Felde hin und wieder gesucht, außer dass er ihr   Schürzentuch ganz zerrissen und zusammengewickelt in einer Dornenhecke liegen sah. Etliche Tage nachher ist sie im   Leimsfelder Teiche tot gefunden worden. 


Vielleicht war bei der armen Frau tatsächlich der Teufel am Werk. Vielleicht litt sie aber auch nur an Demenz und seniler  Bettflucht, was in den Augen der damaligen Menschen sicher nichts anderes als Teufelswerk sein konnte. Doch selbst wenn  es sich bei der Toten im  Leimsfelder Teich nur um ein Sage handelt: in seiner Geschichte hat dieser Ort durchaus Leid und Tod gesehen.  


Bild oben: Grafik des Leimsfelder Teichs (eigenes Werk) auf Grundlage der Karte von  Johann Georg Schleenstein: “Landesaufnahme der Landgrafschaft   Hessen-Kassel 1705-1710” Mit einer Fläche von ca. 15,5 Hektar hatte der Teich eine durchaus beachtliche Größe  

 


Die Schlacht am Leimsfelder Teich

“Vom unglücklichen Treffen der Hessen bei Leimsfeld unter dem  General Schlüter gegen die Franzosen nach der vergeblichen Belagerung von Ziegenhain”  

Es die Zeit des Siebenjährigen Krieges. Die Festung Ziegenhain ist erst seit kurzem wieder in   alliierter Hand (Hessen – Hannover – Braunschweig). Ende Juli des Jahres 1760 tauchen vor   den Mauern der Festung 4000 französische Soldaten auf und schließen sie ein. Der   Festungskommandant Obrist Gernreich lehnt zwei Aufforderungen zur Kapitulation ab.  

 

Die französischen Truppen dringen am 28. und 29. Juli 1760 in die mit aus der Umgebung   von Flüchtlingen überfüllte Vorstadt Weichaus ein, dennoch kapituliert Gernreich nicht. Man   einigt sich mit den Franzosen, die Vorstadt als „neutral“ und ohne Besatzung zu lassen und   sie damit von weiterer Gewalt zu verschonen.   

 

Erst als die französische Beschießung der Festung vom Schafhof aus einsetzt, muss Gernreich am 11. August 1760 wegen   Munitionsmangels (man wirft ihm später “Munitionsverschwendung“ vor) aufgeben. Die gesamte Garnison gerät in   Gefangenschaft. Diesen Zustand will man allerdings nicht hinnehmen. Alliierte hessische Belagerungstruppen ziehen im   Februar 1761 auf, leider sind die Franzosen unter der Federführung ihres Kommandanten Baron François Antoine Pacifique de Zuckmantel darauf bestens vorbereitet.   

 

So kommt es zu verschiedenen Scharmützeln, bei denen 47 Häuser der Ziegenhainer Vorstadt vollkommen zerstört und   weitere beschädigt werden. Ein nachhaltiger Erfolg indes stellt sich nicht ein.  Schließlich verlegt der Generalmajor der   hessischen Belagerungstruppen, Johann Volrad Schlüter seine Grenadiere am 14. März 1761 auf den Galgenberg, da ihm   die aus der Festung abgeschossenen französischen Kanonenkugeln so nahe kommen, dass er   zurückweichen muss.   

 

Dies wiederum bleibt den Franzosen nicht verborgen. Sie schicken am 25. März Soldaten in Richtung Niedergrenzebach und durch das  Buchholz hindurch in Richtung Leimsfeld. Schlüter   befürchtet nun, am Galgenberg von hinten angegriffen zu werden. Er setzt seine Streitmacht auf   der Langen Hessen in Richtung Homberg in Marsch. Doch bei der ersten Marschpause kommt es,   wie es kommen muss:   

Truppenteile des französischen Marschall Broglie, der sein Hauptquartier an diesem Tag in Schweinsberg errichtet hat, haben   sich unter der Führung des Marquis De Montchenu bereits in Leimsfeld mit einer Avantgarde (Vorhut) in Stellung gebracht   und erwarten Schlüter und seinen Mitstreiter Generalmajor Georg Ludwig von Zastrow (Braunschweig).    

 

De Montchenu liegt mit der Brigade von Orleans,  berittenen Dragonern, einer Abteilung von Freiwilligen sowie weiteren 200   Mann, die Zuckmantel aus der Festungsbesatzung beisteuert, im Dorf. Schlüter und Von Zastrow pausieren kurz vor   Leimsfeld mit 5 Bataillonen  (je ein Regiment “Von Blum”, “Müller”, “Kutzleben” und zwei Regimenter “Von Zastrow”), nicht   bemerkend, welche unmittelbare Gefahr ihnen droht.

 

Dann schlägt De Montchenu zu. Für Schlüter und Von Zastrow anscheinend unerwartet greift er mit Dragonern und   nachsetzenden Fußtruppen an. Es gibt nur einen einzigen Weg, um an die Schlüterschen und Von Zastrowschen Truppen   heranzukommen: über den schmalen Damm, der bei Leimsfeld am Teich die sumpfigen Wiesen durchquert. Hier kommt es zum Gefecht.


    



Eilig versuchen die Schlüterschen und Von Zastrowschen Truppen, ihre vielfach eingeübte Gefechtsformation einzunehmen.   Im Angesicht der mit gezückten Säbeln und in Anschlag gebrachten Reiterkarabinern herannahenden Dragoner, kommt auf   dem schmalen Damm großes Unbehagen auf. Der Platz an dieser Stelle ist bei weitem nicht ausreichend bemessen, um die   hessischen und braunschweigischen Truppen in eine effektive Verteidigungsformation zu bringen. In der Enge steht einer   dem Anderen im Weg.  

 

Die Schläge der Marschtrommeln hallen dumpf und bedrohlich über die Wiesen, Regimentsfahnen flattern zaghaft im Wind.   Zunächst kommt noch der geordnete Befehl zum Laden der Waffen: die Spitze der in Papier verpackten   Schwarzpulverladung abbeißen, die Pfanne des Steinschlosses öffnen, etwas Pulver einfüllen,  die Pfanne schließen, den   Rest des Pulvers in die Laufmündung schütten, eine Bleikugel in die Mündung rollen lassen und mit dem Ladestock so tief   wie möglich nach unten in den Lauf stoßen.   

 

Mit dem ersten Feuerbefehl rasen viele hundert Kugelnunter ohrenbetäubendem Lärm auf die französischen Dragoner und Fußtruppen zu. Da die innen glatten   Gewehrläufe auf mittlere und größere Distanz überaus ungenau sind, ist jeder Treffer purer Zufall, nur wenige Franzosen werden touchiert.  Als die Dragoner in   schnellem Galopp den Leimsfelder Damm erreichen, fahren sie mit   schwingenden Säbeln in die Reihen der alliierten Truppen.    

 

Ein heftiger Kampf entbrennt. Doch es kommt noch schlimmer: Der Obrist der   französischen Freiwilligenabteilung, Von Vignolles gelangt unter der   Rückendeckung der Dragoner mit fünf weiteren Fußsoldaten in die Mitte des Von Zastrowschen  Bataillons und erkämpft sich die gegnerische Regimentsfahne. Seinen Männern gelingt es im Verlauf des Gefechts, zwei weitere Fahnen an sich zu reißen.                         

                                  Bild oben: Deutsche Jägerbüchse (Replikat), wie sie u.a. durch hessische Jäger-Regimenter in der Zeit um den Siebenjährigen Krieg verwendet wurde


Allmählich breitet sich unkontrollierbare Hektik aus. Teile der alliierten Truppen sind bereits im Nahkampf verstrickt. Es gelingt   nicht, sich in eine halbwegs zur Abwehr geeignete Position zu bringen. Die Soldaten sind im einsetzenden Chaos zunehmend   auf sich gestellt. Jeder beginnt, nach eigenem Ermessen zu laden, zu feuern oder mit seinem Gewehr auf den Gegner   einzudreschen. Die Effektivität der mitgeführten Musketen nimmt damit drastisch ab. Einige Soldaten stürzen in dem   Durcheinander in  Teich und Morast, ihr Schwarzpulver ist jetzt nass und unbrauchbar, sie sind nun völlig wehrlos.   

 

Aus den französischen Musketen der Fußtruppen hagelt es Bleigeschosse. Zahlreiche alliierte Soldaten werden schwer   verwundet, einzelne werden tödlich verletzt. Nun bricht Panik aus: rund 2000 Soldaten der Von Zastrowschen und   Schlüterschen Truppen sitzen auf dem Leimsfelder Damm in der Falle. Sie beginnen, auszubrechen und suchen ihr Heil in   der Flucht. Jeder, der noch halbwegs laufen kann, rennt um sein Leben. In einem in der Nähe befindlichen Waldstück werden   die Flüchtenden von französischen Truppen eingeholt und umstellt.    

 

Um dem Tod zu entkommen, ergeben sich 12 Offiziere und 302 Unteroffiziere  und Gemeine. Auch Von Zastrow und Schlüter   gehen in Gefangenschaft. Schlüter, von einem Säbelhieb der französischen Dragoner im Gesicht furchtbar verletzt, wird als   „völlig entstellt“ beschrieben, sein Anblick sei „geradezu abschreckend“. Wenige Tage später stirbt er.   

 

Wer nicht am Leimsfelder Teich gefallen ist oder gefangen genommenwurde, irrt im Chaos der Schlacht leidlich planlos   durch die  frühlingshaft ergrünende Landschaft. Generalleutnant Johann Nickolaus Graf Luckner (Hannover), der mit seinen 4   Bataillonen und 14 Schwadronen zu diesem Zeitpunkt zwischen  Obergrenzebach und Niedergrenzebach steht, sammelt die   Versprengten ein und führt sie seiner Truppen zu. Unter der Verfolgung durch den Marquis De Montchenu zieht er sich geordnet   nach Römersberg zurück, wo er erneut in Stellung geht. Hier kommt es jedoch zu   keinen weiteren Kampfhandlungen.   


Die Schlüterschen und Von Zastrowschen Bataillone werden am Leimsfelder   Teich im Prinzip komplett aufgerieben. Neben den gefangenen Generälen,   Offizieren, Unteroffizieren und Gemeinen fallen den Franzosen auch zwei   Geschütze und die drei bereits erwähnten Regimentsfahnen in die Hände – eine   unerhörte Schmach für jeden unterlegenen Kommandeur und sein Offizierkorps.   


Bild oben: Der Feldscher (militärischer Wundarzt) und sein  Helfer amputieren die Hand eines Verwundeten. Offiziere erhielten zur Betäubung eine Flasche hochprozentigen Alkohol, Mannschaften gab man stattdessen ein Stück Holz zwischen den Ober- und Unterkiefer. Zum Draufbeißen!


Allein das am Leimsfelder Teich auf Seite der Alliierten kämpfende Landbataillon   “Von Blum” wird im Kriegstagebuch wohlwollend erwähnt. Durch die   vorübergehende Zurückhaltung feindlicher Schwadronen erwirbt es sich großen   Ruhm, sein Kommandeur wird mit 200 Ducaten belohnt.   

 

Mit dieser vernichtenden Niederlage der Alliierten enden alle - zunächst erfolgversprechenden - Möglichkeiten, Ziegenhain   von seiner französischen Besatzung zu befreien. Als die Feindseligkeiten des Siebenjährigen Krieges in Hessen zwischen   den Franzosen und Alliierten am 8. November 1762 durch die Zusammenkunft des Herzogs von Braunschweig mit den   französischen Marschällen Soubise und Etrées an der Brückenmühle bei Amöneburg eingestellt werden, kommt es einige   Wochen später zur friedlichen Rückgabe der Festung Ziegenhain an die hessischen Truppen. Am 21. Dezember 1762 rücken   die französischen Besatzer ab. Erst im November 1807 fällt Ziegenhain erneut kampflos in französisch-napoleonische Hand.   

 

Vom Leimsfelder Teich und seiner Geschichte ist heute nichts mehr geblieben, als die Erinnerung in alten Büchern und   Chroniken. Nach wie vor überdecken landwirtschaftlich genutzte Wiesen den Ort der ehemaligen Schlacht. Nur bei   tiefstehender Sonne lässt sich im Wiesengrund nahe der Bundestraße der Verlauf der alten Gers erkennen, die im Wege der   Teichverfüllung umgeleitet und begradigt wurde. Auch eine weiße Frau wurde seit sehr langer Zeit nicht mehr gesichtet... 



 

Karte der Belagerung der Festung Ziegenhain in den Monaten Februar und März 1761  Die dunklen Balken symbolisieren die Positionen der alliierten Truppen. Die Positionen “H”  bezeichnen die Stellungen der in die Festung schießenden Geschützbatterien  (Quelle: Raspische Handlung Nürnberg © gemeinfrei)  




Exkurs: Die Wirkung der Vorderladerwaffen des 18. Jahrhunderts


Zunächst gab es in der Zeit des Siebenjährigen Krieges zwei Typen Gewehre: a) Waffen mit glatten Läufen und b) Waffen mit  sogenannten gezogenen Läufen. Glattläufige Waffen versetzten die daraus abgeschossenen Kugeln in einen nur schwachen Drall, was  sich in einer großen Zielungenauigkeit auswirkte. Waffen mit gezogenen Läufen verfügten über Züge und Felder  (spiralförmige Rillen an der Laufinnenwand), die für einen hohen Geschossdrall, hohe Flugstabilität und damit auch auf  größere Distanz (bis zu 200 Schritten) für große Zielgenauigkeit sorgten.  

 

Aus den in den Bataillonen weit verbreiteten, glattläufigen Musketen wurden Bleirundkugel der unterschiedlichsten Kaliber verschossen, gelegentlich kam auch in grobe Stücke gehacktes Blei   (Bleischrot) zum Einsatz. Für große Unzulänglichkeiten sorgten die Steinschlosse der Waffen   (Zündung des Schwarzpulvers mit Feuerstein und Stahl, siehe rechts), die bei widrigen   Witterungsverhältnissen (Regen, etc.) oft nicht zündeten. Gefechte wurden wegen schlechten   Wetters daher häufig verschoben.   

 

Die Geschossenergie von Vorderladerwaffen war mit einer Mündungsenergie zwischen 2000 und 3000 Joule modernen  Jagdwaffen auf kurze Distanz keineswegs unterlegen. Dennoch bedingte die Geschossform in Verbindung mit den damals   üblichen großen Kugeldurchmessern (hoher Luftreibungswiderstand), sowie Schwankungen in der Qualität des verwendeten   Schwarzpulvers deutliche Wirkungseinbußen. Das Geschoss verlor nach Verlassen des Laufes sehr schnell an Energie, in   einer Entfernung von 100 Metern erreichte es gerade noch ein Drittel seines Ausgangswertes. 

 


Auf kurze Distanz waren die Waffen jedoch durchaus in der Lage, den Gegner   unmittelbar zu töten. Dem Feind im Gefecht in die Augen sehen zu können, war dabei   keine Ausnahme, sondern die Regel. Gegnerische Einheiten standen sich bei der   Schussabgabe gewöhnlich in militärisch geordneter Reihenformation etwa 15 bis 30   Schritte gegenüber - ein Himmelsfahrtskommando mit offenem, aber meist erwartbaren Ausgang.                                                                         

                                                                                                Bild rechts: Seitenansicht eines Steinschlosses mit Funkenzündung

 

Auch auf mittlere und weite Distanzen verursachten die Geschosse im Gefecht   schwerwiegende Wunden. Während Kanonenkugeln bei Körpertreffern Gliedmaßen   aller Art sofort abrissen, bzw. den Getroffenen unmittelbar töteten, drangen   Musketenkugeln in den Körper ein und blieben sehr häufig stecken. Beim Eintritt in   das Gewebe rissen sie verunreinigte Stoffpartikel der getragenen Kleidung mit in den    Wundkanal. Die Folge: Infektionen und Wundfieber, das Tage oder Wochen später   zum Tod führen konnte. Bleivergiftungen blieben dagegen eine seltene Ausnahme.   


 Aufgabe des Feldschers (Wundarztes) war es, die Kugel mit einer Zange aus dem Gewebe zu ziehen. Eine Betäubung fand  für einfache Soldaten in der Regel nicht statt, Offiziere konnten - sofern verfügbar - auf eine Flasche Branntwein hoffen. Eine   Desinfektion der Wunde oder des Operationsbesteckes gab es nicht, was das Infektionsrisiko deutlich erhöhte. Der hohe   Blutverlust tat ein Übriges.   

Schwierig waren besonders die Fälle, in denen die Geschosse für den Feldscher praktisch   unerreichbar waren. Beispielsweise drangen Kugeln in den Oberkörper ein und rollten dann     auf der Innenseite des Bauchraums und des Brustkorbs umher. Kam es ausnahmsweise zu   keiner Entzündung bzw. zu einer späteren Gewebeverkapselung, verspürten die Verletzten   das Rollen der Kugel in ihrem Körper bis zu ihrem Lebensende. Dramatischer waren Treffer   der Augenhöhlen, der sonstigen Gesichtspartien und Schädel-Hirnverletzungen. Diese  Verwundungen war häufig inoperabel. Die Getroffenen verstarben oft nach mehreren Tagen unter großen Schmerzen.   


                                                   Bild oben: Geschosse (Bleikugeln) im Kaliber 13,7 mm (.54). Andere zeitgenössische Kaliber waren z.T. noch deutlich größer.



                                                Bild: der Feldscher bei der Arbeit. Das Holz zum Draufbeissen liegt bereit (auf dem Tisch am Kopfende).



Quellenangaben und Hinweise  


Die Angaben zur Schlacht beim Leimsfelder Teich basieren auf folgenden Quellen:   
 
1. Heinz Reuter „Ziegenhain Geschichte der Stadt 782 – 1973“, Seiten 55 – 57, zweite erweiterte Auflage 1980   
2. Georg Landau „Beschreibung des Kurfürstenthums Hessen“, Seite 444, Verlag Theodor Fischer, Kassel 1842   
3. General Loyd „Geschichte des Siebenjährigen Krieges in Deutschland zwischen dem Könige von Preußen und der   Kaiserin Königin und ihrer Alliierten“, Band 1, Teil 5 und Band 5, Seite 42, Berlin 1783   
4. “Fünfter Theil, erste Abtheilung der Geschichte des seit 1756 in Deutschland und dessen angränzenden Ländern geführten   Krieges”, Frankfurt und Leipzig, 1763   
5. Geschichte der Feldzüge des Herzogs Ferdinand von Braunschweig-Lüneburg, Band V (1761), Berlin 1872   
6. Angaben zu Verletzungen durch Waffeneinwirkung: John Hennen: “Grundsätze der Militärchirurgie”, Weimar 1822   
 

Sonstiges: die Beschreibung der Vorgänge zum Laden und Abfeuern der Waffen unter Gefechtsbedingungen basieren nicht auf   historischen Quellen, sondern auf meinen Erfahrungen aus der Teilnahme an der Darstellung historischer Gefechte der Jahre   1776 bis 1782 (siehe auch: Gesellschaft für Hessische Militär und Zivilgeschichte)