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Das Lüdertor in Ziegenhain

Die nachfolgen Reime sind mir vor einigen Jahren aus Langerweile aus der Feder geflossen und warten zugegebener Weise mit eher poetisch fragwürdigem Charakter auf. Sie behandeln in Gedichtform die Geschichte um die Belagerung der Festung Ziegenhain zur Zeit des Schmalkaldischen Krieges (1546 - 47), und hier insbesondere die Rolle des damaligen Festungskommandanten Heinz von Lüder. Nach Fertigstellung dieser Zeilen habe ich meine dichterische Karriere bis auf Weiteres für die wichtigen Dinge des Lebens zurückgestellt.

Hinweis: bei dem jetzt folgenden, einleitenden Vorwort handelt es sich sozusagen um einen schwülstigen Verbalerguss, mit der Absicht, “dichterisch in Fahrt zu kommen”. Sowas braucht man als Poet!    

   



Sagt “Heinz” zu mir!   


Ein Blümlein sprießt am Wegesrand, und wie ein silbrig träges Band 

fließt durch der Auen Nebelbänke die „Schwalm“, von droben in die Senke.    

Nach diesem Fluss hat man benannt, sogleich mein ganzes Heimatland. 

Du Vaterland, bist mein Pläsier: oh, holde Schwalm, bin gerne hier!   

 

Dein Acker nährt die hungrig Mäuler, Dein’ Weiden sättigt Schaf und Gäuler,

Dein dichter Tann  und Buchenholz erwärmt den Ofen kaum. Was soll’s.   

Liegst zwischen Kellerwald  und Knüll, gleichst einem Füllhorn, voll  der Füll’,

bist Pestilenz, bist Elixier: oh, holde Schwalm, ich liebe Dir.     





So, jetzt geht’s aber los:


Vor langer Zeit, soviel steht fust, hat das der Philipp auch gewusst.

Der war als Kind besonders brav und wurde bald zum  Landesgraf.   

Ein Landgraf wird - wie Ihr  ja wisst - nur , wer den Teller  alle isst,

sich wäscht und seine Schuhe putzt, das Tischtuch nicht zum Schnäuzen nutzt,     

wer artig und bescheiden bleibt, obwohl der Haferstich ihn treibt

und den Erfolg nicht früh verdirbt, weil er mit knapp drei Jahren stirbt.    


Rechts: Wappen des Landgrafen Philipp I. von Hessen (Lucas Granach ca.1546/gemeinfrei)

 


Historischer Hinweis: Im Jahr 1537 beschließt Landgraf Phillip I. von Hessen, Ziegenhain zu einer Festung auszubauen.    

     

An einem Tag (vielleicht im Mai, das Datum ist auch einerlei),     

erreichte Philipp mit den Schergen erst Kotten- und dann Galgenbergen.   

Der Kutscher hielt, der Graf stieg aus. Er deutete aufs Land hinaus,     

hob an die Stimme, stockte dann –  und fing noch  mal von vorne  an.                                                        

Dann sprach er: „Ei, wie ist das schön, hier sollte meine Festung stehn     

und weil am Wald dort Geißen sein, heiß ich den Ort jetzt  Ziegenhain.“   

Dass dort bereits ein Jagdschloss stand, das insgesamt viel Zuspruch fand,     

hat Landgraf Philipp nicht gestört, zu sehr hat ihn die Schwalm betört, 


  

  denn auch strategisch lag es gut, was jedenfalls das Seine tut,      

  wenn  Feindesvolk und solch Gesind’ ein Bauwerk unter Feuer nimmt.   

  Gesagt, getan, ein Plan entstand, bis Landgraf Philipp hat erkannt,     

  dass gutes Bauen findet statt  nur,  wenn  man davon Ahnung  hat.   

 

  So lies er große Steine hauen,  um seine Festung aufzubauen,     

  lud Balthasar von Germersheim von Herzen  ein, dabei zu  sein,   

  der kam und nahm  auf seinem Ritt „von Ettlingen“ gleich auch noch mit,     

  der vorneweg „Hans  Jakob“ hieß,  was oft man unbeachtet  ließ.        

 

Bild oben: Landgraf Philipp I. von Hessen (gemeinfrei)

 



Die beiden Herren fingen dann als Baumeister zu  zeichnen an,     

bis alles Werk nach vielen Stunden, ward allerseits für gut befunden.   

Mit Philipp kam man überein, ein’ Wasserfestung sollt’ es sein     

und außerdem, ganz außer Fragen, müsst’ sie auch einen Graben haben.   

 

Und einen Wall von gut elf Ellen*, seitlich flankiert von vier Rondellen       

auf die zuletzt  mit Manneskraft  man eherne  Geschütze  schafft.   

 (*Homberger Maß) Bild rechts:  Grundriss des Festung Ziegenhain (gemeinfrei)    


 



Kurzer Themen-Exkurs: Der Glacis     

Ein Glacis ist ein flacher Wall und dient dazu, für jenen Fall,    

dass Kriegsvolk vor den Toren steht, man innerlich auf Abstand geht.  

Oft hat er einen Wassergang, mit dem man Wiesen fluten kann.     

Denn bleibt der Feind im Moder stecken, tut bestenfalls er dort verrecken,   

was dazu führt, dass bis zum Schluss man wenig Kugeln schießen muss.   

Ja, das ist wirksam und gemein. Und deshalb baut man so was ein!   

Bild oben: Glacis (gemeinfrei) 

     


Doch zurück zum Geschehen…     


Den Glacis fand der Landgraf faktisch für seinen Festungsbau recht praktisch,      

weshalb – im Rückblick, wie Ihr  wisst – dort Freund und Feind ertrunken  ist.   

Neun  Winter gingen nun  ins Land und aus dem Anfangstatbestand,     

war Dank des Fleiß´ von tausend Händen, ein Prachtbau vor dem Herrn entständen.   

 

So, jetzt wird’s ernst: Im Schmalkaldischen Krieg (1546-1547) verweigert Heinz von Lüder als erster Kommandant die Übergabe der Festung an den von Kaiser Karl V. gesandten Generalfeldmarschall Reinhard Graf zu Solms     


Doch als die Festung fertig war, war Reinhard Graf zu Solms bald da    

und hoffte, ohne Kampfattacken das Bauwerk gänzlich einzusacken,  

um es mit Mauern, Turm und Türen der Macht des Kaisers zuzuführen,    

es dann gestrenge einzufassen und endlich nicht mehr loszulassen.  

 

 



Zu dieser Zeit war dummerweise Herr Landgraf auf sehr langer Reise,     

im Oberteil der Niederlanden, die ihn dort unsympathisch fanden,   

weshalb man ihn in Fesseln legte, mit Brot und Wasser nur verpflegte,     

was, weil es wenig Freude bot, die gute Laune ihm entzog.   

 

In Ziegenhain sah’s traurig aus. Von Lüder war allein zu Haus     

und lies, trotz aller Not und Pein, den Graf zu Solms erst gar nicht rein.   

Der wiederum war höchst erzürnt. Die Festung hätt’ er gern erstürmt,     

(was ohnehin unmöglich war) und trotzdem blieb er erst mal da.   

 Bild rechts: Es säuselt draußen Frühlingsduft, doch drinnen herrscht gesiebte Luft



Jetzt kommt’s: Kaiser Karl V. droht Heinz von Lüder Repressalien an     

     

Nun, dann zog Ungemach  herauf, denn Kaiser Karl, der tat sich auf     

und ließ den Herrn von Lüder wissen, dass er wird bitter büßen müssen,   

weil er in Regen, Sturm und Nässe, den Solms vor seinen Toren  lässe,     

denn so was könne endlich führen zu bösen Grabenfußgeschwüren.   

 

Das kommt, wenn man nur wenig geht und viel im kalten Wasser steht,     

und nicht auf die Gesundheit achtet, des Nachts kaum schläft und tüchtig schmachtet   

und sich in Haut- und Fuß-Gefilden allmählich Pilz und Krätze bilden,

dem präventiv - sobald es regnet - man stets Trockenheit begegnet.  


Bild oben:  Kaiser Karl V. (gemeinfrei)


Da drohte Karl dem Heinz von Lüder, man sehe sich sehr bald schon wieder     

und würde dann zu Trommelklängen ihn droben in der Luft aufhängen,   

so lange, bis er nicht mehr lebe und in das Himmelreich entschwebe.     

Graf Solms hielt dies (und unterdessen) für Heinz von Lüder angemessen.   

 

Doch Lüder sprach alsbald zum Grafen: „Bevor mir tönen  Engelsharfen,     

fließt, wo es leidlich geht bergab, viel Wasser noch die Schwalm hinab.   

Sagt mir dem Kaiser einen Gruß, soll handeln, wie er handeln muss.     

Ich aber halte Ziegenhain, bis Landgraf Philipp kehret heim.   

 

Denn dieser gab als freier Mann die Festung mir, und ich nahm an.   

Drum kriegt er sie am ganzen Stück als freier Mann von  mir zurück.   

Hört, diese Festung – ohne  Scherz -, liegt wahr - und treulich mir am Herz,   

ihr Schutz, das ist mein Eid und Pflicht. Das ändert auch der Kaiser nicht!“   

 


Nun, Graf von Solms war echauffiert. Als Mensch, der gerne kommandiert,   

da passte ihm beileibe nicht, dass Lüder ständig widerspricht.    

Auch Kaiser Karl schäumte vor Wut. Sein Haupt erstrahlte rot wie Glut .  

Das kam, weil er so lange, glatte, fast backsteinrote Haare hatte.   

 

Doch alles Zorn und Galle spucken, wollt' Heinz von Lüder wenig jucken.   

Der sprach: „So fest wie Ziegenhain, so soll auch meine Treue sein!“   

 

     

Bild rechts: Alle rot. Kaiser Maximilian mit Familie (der Sohn Philipp der Schöne, die Gattin Maria von Burgund,

die Enkel Ferdinand I., Karl V. und sein Schwiegerenkel Ludwig II.; Bernhard Strigel, nach 1515, vor 1520 (gemeinfrei)   


 


Das Blatt wendet sich: Landgraf Philipp kehrt aus der Gefangenschaft zurück   

 

Als bald darauf der Landesgraf aus Holland in der Schwalm  eintraf,   

da hatte er, man wird es sehn, fürwahr ein schwieriges Problem:   

Zum einen lag’s in seinen Pflichten, nun Heinz von Lüder hinzurichten,   

weil Kaiser Karl (der Chef) das wollte - der noch mehr, als sonst üblich grollte,   

 

zum  andern wäre die Verschonung des treuen Lüders die Belohnung,   

für das, was er für Philipp tat, als der daselbst in Fesseln lag.    

Was tun? Das Herz ward Philipp schwer, denn eine Lösung musste her,   

die Lüder trotz  der Schuldprozesse im besten Fall am Leben lässe.   

 

So grübelte er her und hin. Und plötzlich kam ihm in der Sinn,   

dass Kaiser Karl zwar von ihm wollte, dass Lüder man erhängen sollte, 

für jeden sichtbar, hoch am Tor - doch schließlich  kam es Philipp vor,   

dass Karl ja nicht hatte verlangt, dass Lüder man am Hals erhangt,   

 

was guter Letzt dann dazu führte, dass Lüder um den Bauch man schnürte,   

der sich darüber hoch entzückte, weil dies ihm kaum die Luft  abdrückte.   

Und auch kein Strick umschlang die Lenden - ein Kettlein (lies man hier verwenden)

von purem Gold und Kunstgeschmeide umschmeichelte die Eingeweide.   

 Bild rechts: Bronzemodell der Festung Ziegenhain



Da baumelte frisch und geschwind von Lüder hoch im Morgenwind   

und konnte  so, nach  kurzem Hangen noch etwas mit dem Tag anfangen.   

Und bald schon sank von Lüder wieder vom hohen Tor zur Erde nieder.   

Und das, woran er aufgehängt, bekam er obendrein geschenkt:   

 

Die güldne Kette in der Hand, ein dumpfes Zerren im Gewand,   

das Herz  voller Zufriedenheit, den Geist erfüllt mit Dankbarkeit,   

so blickte er den Landgraf an, bevor er diesen Satz ersann:   

„Mein Herr, ich will vor allen Dingen auf Euch ein hohes  Loblied singen!   

Nehmt  meine Freundschaft  hiermit an, und sprecht mit mir von Mann zu Mann.   

 

 Und zur Vollendung dieses Reims, nennt mich ab heute bitte ‘Heinz’!“   

 

     

Schlusswort   


Und damit endet das Gedicht. Ob’s wahr ist? Nun, man weiß es nicht.   

Doch sicher ist, das warm und trocken, heut‘ Lumpen in der Festung hocken.   

Das nennt  man hier, in dieser Zeit „Justitias Gerechtigkeit“   

Ach, könnte  das Von Lüder sehen, der würde sich im Grab umdrehen   

 

oder mit Ketten, Tröten, Tuten hoch im Gebälk des Schlossturms spuken.   

Da, horch! Hört man des Mitternachts kein Rasseln am Paradeplatz?   

Und schwebt da zwischen  Wall und Graben nicht Lüders Geist durch weiße Schwaden,

bis morgendliches Sonnenlicht den feuchten, kalten  Nebel bricht?   

 


Bild oben: Auch wenn’s fürwahr nicht jedem passt: das Schloss - es ist und bleibt ein Knast. 



Am Ende lässt sich kaum erkennen, welch‘ Geister schweben, welche rennen,    

doch manch‘ Gespenst hat schon geschafft, zu fliehen aus der Festungshaft.   

Nur die Erinnerung, sie bleibt, an einen Held aus früher Zeit,   

nach dem – und das ist wohl bekannt – man hat das Lüdertor benannt.   

 


Und wer den Torbogen beschreitet, kriecht, humpelt oder durch ihn reitet,   

der denke einen Augenblick an Heinz von Lüder still zurück,   

der uns mit seinen Taten  lehrte, es sei vor allem das Verkehrte,   

den Feind vereinzelt und in Massen von draußen in sein Haus zu lassen,  

 

weil dieser sich dann ganz bestimmt so schlecht, als wie daheim benimmt  

und  endlich - quasi über Nacht - den Hausherrn zum Gesinde macht.   

 


Ende


Bild rechts: Der Paradeplatz. Links die ev. Kirche, im Hintergrund das Schloss mit Gouverneursflügel