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Die Amerikanische Revolution und schwälmer Rebellen?


Die Frage, ob sich gebürtige Schwälmer auch auf der Seite der Aufständischen am amerikanischen Unabhängigkeitskrieg beteiligt haben, war bisher nicht abschließend zu beantworten. Angesichts der großen Zahl Deutscher Auswanderer des 18. Jahrhunderts, erschien dies als wahrscheinlich, aber nicht völlig sicher. Eine relativ deutliche Antwort gibt indessen das Hildebrandtsche Tagebuch.

 

Wie bei vielen kriegerischen Auseinandersetzungen kommt es auch im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg zur Gefangennahme gegnerischer Kräfte. Besonderes Pech hat dabei derjenige, der in die Fänge der mit den königlichen Truppen verbündeten Indianer – in Hildebrandts Tagebuch kurz „Wilde“ genannt – gerät. Im konkret genannten Fall, der sich keinem genauen Datum zuordnen lässt, übergeben reguläre königliche oder mit den Briten verbündete Truppen einen gefangenen Rebellen zu seiner Bestrafung an die Indianer.

 

Hildebrandt erkennt sehr wohl, dass es sich bei diesem  Aufständischen um einen Landsmann handelt, der ebenso wie er in Ziegenhain geboren wurde. Doch dieser Umstand kann kein nachhaltiges Mitgefühl erzeugen. Wörtlich schreibt er: „Die Neubegierde hat mich auch mehr alß die Menschlichkeit bewogen, einen derer Rebellen, welcher gefänglich eingebracht, und seines Verbrechens halber denen Wilden übergeben worden, hinrichten sehen. Der Unglückliche war noch dazu ein Landsmann aus Ziegenhayn namens Vogel und von Profession ein Schneider.“ (Hildebrandt, S.68).

 


Dass der Autor nicht mehr zu dem Rebellen vermerkt, deutet darauf hin, dass er einerseits mit der Brutalität dieses Krieges auf seine Art umzugehen wusste, andererseits war der Wert eines menschlichen Lebens in der Gesellschaft des 18. Jahrhunderts sicher deutlich weniger geschätzt, als dies heute der Fall ist. Letztlich war Hildebrandt vermutlich auch aus früheren Dienstverhältnissen an kriegsbedingtes Leid gewöhnt und als Offizier zu besonderer Distanz verpflichtet. Ihm daraus heute einen Vorwurf zu machen, erscheint nicht angebracht.

 

Welches Schicksal den Ziegenhainer Schneider Vogel letztlich traf, ist nicht überliefert. Anhand verschiedener Darstellungen unterschiedlicher Autoren zu ähnlichen Ereignissen, dürfte sein Leben jedoch unter großen Schmerzen und schwerer  Folter beendet worden sein. Wer eine vage Vorstellung von dem Gebaren damaliger „Native Americans“ im Umgang mit Gefangenen bekommen möchte, dem sei u.a. der Film „Alone not yet alone“ aus dem Jahr 2013 empfohlen.


Er schildert die wahre Geschichte der beiden Leininger-Schwestern, die 1755 als Kinder deutscher Auswanderer von den Delaware-Indianern entführt wurden. Im Gegensatz zu der bekannten Schmonzette „Der Winter der ein Sommer war“, leistet sich der erstgenannte Film keine groben handwerklichen Fehler, es sei denn, man betrachtet ihn in der amerikanischen Originalfassung. Die verzweifelten Versuche der Darsteller, in einigen Szenen Deutsch zu sprechen, bringen selbst tolerante Zuschauer zum Staunen.

 

Nebenbei bemerkt: demgegenüber „verwöhnt“ der u.a. in Ziegenhain gedrehte Mehrteiler „Der Winter der ein Sommer war“ in ungeahnter Schmerzhaftigkeit mit Schauspielern, denen offensichtlich per Regieanweisung eingetrichtert wurde, Frankfurter Dialekt sei angeblich die Hessische Universalsprache und ganz besonders in der Schwalm beheimatet. Selbst rund 40 Jahre später macht so ein Unfug sprachlos.  Da fällt die versehentlich auf einem Ziegenhainer Dach vergessene Fernsehantenne und ein lebhafter Autoverkehr im Hintergrund einer Marschszene kaum noch ins Gewicht.


Deutsche auf Seiten der Kämpfer für die Unabhängigkeit


Auch in den Reihen der Kämpfer für die amerikanische Unabhängigkeit kämpften zahlreiche Männer deutscher Abstammung. Die heutige, digitale Ahnenforschung erlaubt es, auch entfernte Verwandtschaftslinien zu bis Dato völlig unbekannten Personen - auch aus der Vergangenheit - festzustellen. Als Beispiel sei hier Henrich Adami genannt. Er wurde am 16.4.1758 in Schmidthachenbach (Rheinland-Pfalz) geboren und wanderte in die freien amerikanischen Kolonien aus. Am 16. Februar 1777 schrieb er sich zum Dienstantritt in das "New York Line 3rd Regiment" ein und diente während der Unabhängigkeitskrieges dort fortan mit dem Rang "Private", wahrscheinlich vorrangig im kanadischen Raum. Er überlebt den Krieg und verstarb am 3. August 1835 in Lehigh, Pennsylvania (USA). Henrich Adami war der Cousin meiner Ur-(x6) Großmutter mütterlicherseits. Dass man für ein solches "Verwandtschaftsverhältnis" eine zutreffende Bezeichnung findet, weiß ich jedoch auch erst, seitdem ich für meine Ahnenforschung auf entsprechende digitale Quellen zugreifen kann... 


Deserteure

 

Die Konfrontation mit Krieg und Gewalt, sowie äußere Belastungen in Form von anstrengenden Märschen, Witterungseinflüssen, durchlittenen Krankheiten, als auch das schlichte Heimweh lassen in einigen Soldaten den Entschluss reifen, sich dem weiteren Militärdienst zu entziehen.

 

Teilweise gelingt dies, teilweise werden die Deserteure gefangen genommen und der Truppe erneut zugeführt. Die Bestrafung  variiert dabei in ihrer Schwere. Asteroth berichtet (beispielhaft):“ D.(en) 26. Febr wurde einer gehengt von dem 54. Regement wegen des Disserdiren. 2 mall ging es mit milder Straff ab, aber das 3. Mahl war er gehengt.“ (Asteroth, Seite 40).

 

Auch Hildebrandt schreibt, dass einige Rekruten noch in Deutschland versuchen, sich abzusetzen. So desertierten am 20. März 1777 acht Männer in der Dunkelheit von ihrem Transportschiff, das die Hanauer Jäger den Rhein hinunter an die Nordsee bringen soll. Die Schiffswachen eröffnen das Feuer auf die Flüchtenden und verletzten einen von ihnen am Arm. Die Flucht misslingt, über deren weiteres Schicksal ist allerdings nichts zu erfahren (Hildebrandt, S.4).

 


Neben der bei Asteroth genannten Todesstrafe standen in anderen Angelegenheiten auch mildere Strafen zur Verfügung. Sie reichten vom Arrest, über Schläge mit dem Stock bzw. dem hölzernen Ladestock eines Gewehrs (für Mannschaften) bis zu Schlägen mit der flachen Klinge der „Fuchtel“, einem Offiziersdegen, als Bestrafung für Kadetten und Unteroffiziere (Hildebrandt, S. 140, Fußnote 858).

 

Ein Blick in das HETRINA-Verzeichnis zeigt jedoch, dass auch eine gewisse Anzahl Hessischer Soldaten in Amerika den Militärdienst auf eigene Faust quittierte. Was aus ihnen geworden ist, ist unklar. Möglicherweise schlugen sie sich auf die Seite der Rebellen oder haben – von Kriegsmüdigkeit getrieben – ihr Glück in der Weite des bis dahin größtenteils noch unentdeckten Landes gesucht.

 

Da sich der Anteil der deutschen Einwanderer an der amerikanischen Bevölkerung bis zum frühen 20. Jahrhundert auf rund 30% gesteigert hat, dürften zunächst viele Spuren der Deserteure verwischt worden sein. Nichtsdestotrotz besteht bei deutschstämmigen Amerikanern heute oft ein sehr großes Interesse, die Geschichte ihrer Hessischen Vorfahren zu ermitteln.

 

 

Der Ruf der Hessen

Den Hessischen Soldaten eilt ein grausamer Ruf voraus. Als Verbündete der verhassten britischen „Rotröcke“ gelten sie als brutale Unmenschen, die kriegserfahren sind und mit   gut trainierten militärischen Fähigkeiten aufwarten können. Auch zur Zeit des Unabhängigkeitskrieges ist die psychologische Kriegsführung ein probates Mittel. So wird unter den Amerikanern beispielsweise die Parole verbreitet, dass die Hessen „Kinder fräßen und in allem sehr feindselig wären.“ (Kümmel in Asteroth S.24).

 

Damit wird in der Zivilbevölkerung Angst und Panik verursacht und zugleich eine Motivation geschaffen, sich den Rebellen-Milizen oder der Kontinentalarmee anzuschließen. Insbesondere die irregulären Milizen-Einheiten reagieren auf anrückende Bedrohungen mit einer sog. „asymmetrischen Kriegsführung“.

 

Zivile junge und alte Männer stellen sich aus dem eigenen Haus oder direkt von ihrer Arbeit aus in überraschenden Attacken und Hinterhalten den Engländern und Hessen entgegen. Ihre kurze Reaktionszeit auf bevorstehende Bedrohungen binnen weniger Minuten gibt ihnen den Namen „Minuteman“.


Minutemen (Mehrz.) treten häufig nicht in geordneten Formationen auf, sondern schießen gezielt aus der Deckung. Besonders abgesehen haben sie es auf Offiziere, die gewöhnlich ihre Abzeichen und Silbereffekten zum Zweck der Verschleierung ihrer Funktion vor dem Gefecht von ihren Uniformen abnehmen. Als Gegenmittel werden Hessische Jägerregimenter eingesetzt, die ebenfalls die geordnete Formation im Gefecht verlassen.

 

Ihre zivile Schießerfahrung als Förster und Jagdbedienstete aus den heimischen hessischen Wäldern trägt wesentlich dazu bei, sich bei den Milizen gehörigen Respekt zu verschaffen. Hessische Jägerregimenter im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg gelten heute als weltweit erste militärische Scharfschützeneinheiten. Auch dieser Ruf eilt den Hessen voraus.

 

Welche drastische Aura die Hessen umgibt, wird u.a. in der Legende „Sleepy Hollow“ ausgedrückt, bei der ein kopfloser, reitender Hesse in nebligen Wäldern Nordamerikas Menschen brutal ermordet. Die stark umgearbeitete Originalgeschichte wurde 1999 zu dem gleichnamigen Film mit Johnny Depp verfilmt (Anmerkung: er kennt die Deutsche Bedeutung seines Nachnamens). Das ursprüngliche Buch des Autors Washington Irving „The Legend of Sleepy Hollow“ (um 1820) hat mit dem Hollywood-Film dagegen nur sehr wenig zu tun.  

 

„Die Hessen“ sind seit dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg bis heute als „The Hessians“ ein gängiger Begriff in den USA. Er war bis etwa zum 2. Weltkrieg das Synonym für Deutsche insgesamt. „Hessians“ sprechen Amerikaner als „Häschschens“ aus, was für das heimische Ohr eher gewöhnungsbedürftig klingt.

 

In den USA existieren Unmengen von Geschichtsvereinen und Reenactment-Gruppen, die das Feld- und Lagerleben und die Gefechte der Hessen bis ins Detail nachstellen. In verschiedenen YouTube-Videos und Facebook-Beiträgen sind Szenen dargestellt, in denen „Hessische“ Soldaten in den USA exerzieren, marschieren, Deutsche Befehle schwadronieren, Deutsche Lieder singen und bisweilen „Deserteure in einer Treysaer Scheune dingfest machen“.


Als Kulisse dienen dazu eigens errichtete Fachwerkhäuser, die eine frappierende Ähnlichkeit mit den Häusern der Schwalm haben. Dahinter steckt neben dem Geschichtsinteresse häufig auch eine gehörige Portion Stolz, ein Nachfahre der "Hessians" zu sein. Und damit tun sich die Amerikaner im Gegensatz zu vielen von uns Deutschen, die zunächst alles hoch moralisch in Frage stellen müssen, weit weniger schwer.




Fortsetzung

Diese Bilder wurden während der jährlichen "Zeitreise ins 18. Jahrhundert" auf Schloss Eichenzell aufgenommen, an der ich mich als Darsteller des 14th Albany County Militia Regiments beteilige. Ein paar grundsätzliche Gedanken zum Thema Geschichtsdarstellung habe ich auf der Unter-Seite REENACTMENT bemerkt.